Stadtrat für Kettensäge und Bagger – Bahntrasse soll für Radweg gerodet werden

Alzey (neu) – Der Alzeyer Stadtrat hat, wie zuvor der Bauausschuss, mit großer Mehrheit für das Projekt Radweg auf der ehemaligen Bahntrasse ins Industriegebiet gestimmt. Die beiden anwesenden GRÜNEN-Ratsmitglieder stimmten mit Nein, Kemal Gülcehre (LINKE) und Hartwig Augustin (FDP) enthielten sich. Die Grünen plädierten dafür, den langen Grünzug zu erhalten und naturschutzfachlich weiterzuentwickeln. Für den innerstädtischen Radverkehr taugt eine solche Route nach Aussage der GÜNEN nichts.

Die Beschlussvorlage ist im Ratsinformationssystem der Stadt Alzey zu finden: alzey.more-rubin1.de/sitzungskalender.php . Dort im Kalender auf die Sitzung des Stadtrates am 10.02.2020 klicken, beim TOP 3 die Unterlagen herunterladen.


Die Grünen fodern, den Raubbau am Grünstreifen auf der Bahntrasse noch zu stoppen.

Redebeitrag im Stadtrat:

Wir wollen, dass der breite und kilometerlange Grünzug auf der ehemaligen Bahntrasse erhalten bleibt und naturschutzfachlich weiterentwickelt wird. Als Wegeführung für den lokalen Radverkehr ins Industriegebiet ist die Strecke ungeeignet. Auch als Linie für Radtourismus wirkt die Strecke durch öde Alzeyer Industrie- und Gewerbegebiete alles andere als attraktiv.

Auf und neben der Trasse hat sich in den letzten fast zwanzig Jahren seit Stilllegung der Strecke ungestört ein zusammenhängender Lebensraum von 3,4 km Länge und beachtlicher Breite entwickeln können. Wenn man von 20 m durchschnittlicher Breite ausgeht, macht das eine Fläche von 6,8 ha. Das dürfte die längste und bedeutendste zusammenhängende Grünfläche in Alzey sein. Stichwort: Biotopvernetzung.

Es ist eine Vielzahl sehr unterschiedlich wertiger Strukturen zu finden: z.B. Trockenflächen in Südlage, Reche und Tälchen, Gehölze wie Wäldchen und Hecken – Lebensraum für viele Tierarten. Im Schotterbett finden sich vom Menschen geschaffene Sekundärbiotope, in denen Reptilien, evtl. Amphibien sowie Tagfalter zu erwarten sind. Und dort will man jetzt mit der Kettensäge und dem Bagger rein?

Eine Rodung und großflächige Versiegelung der Trasse als asphaltierter Radweg wäre ein herber Rückschlag beim Bemühen, in Alzey verloren gegangene vernetzte Biotope zu ersetzen. Hier hat die Natur einen kostenlosen Service mit Landschaftsplanung und -gestaltung geleistet, der gezielt weiterentwickelt werden soll. Das Gebiet darf keinesfalls erheblich beschädigt werden. Durch einen asphaltierten Radweg entstehen Gefahren wie der Verlust von Lebensräumen, Falleneffekte für die Tierwelt, Zerschneidung von Lebensräumen, Verdrängung von empfindlichen Tierarten durch menschliche Störungen u.a. Den Verlust könnten auch noch so aufwendige Ausgleichsmaßnahmen nicht ersetzen.

Die Strecke wird auch als vorteilhafte Route für Berufspendler ins Industriegebiet angepriesen. Dafür hat sie aber keine wirkliche Bedeutung. Berufspendler, die mit der Bahn nach Alzey fahren, müssten das Rad mit der Bahn mitbringen und am Bahnhof aufs Rad steigen. Die Zahl dieser Berufspendler dürfte sich in sehr engen Grenzen halten. Es ist schon für eine Einzelperson heutzutage ein Abenteuer, das Rad im Zug mitzunehmen. Für größere Menschenzahlen und erst recht im Berufsverkehr einfach nicht praktikabel. Berufspendler brauchen eine funktionsfähige, attraktive, preisgünstige und wetterunabhängige Kombination aus öffentlichen Verkehrssystemen Bahn und Bus.

Berufstätige müssten vom Bahnhof aus den völlig überflüssigen und abschreckenden Umweg auf einem großen Bogen ums Gewerbegebiet in der Albiger Straße zum Industriegebiet nehmen. Radfahrer auf dem Weg zur Arbeit müssen auf kurzem Wege und schnell an ihr Ziel kommen. Vom Bahnhof aus ins Industriegebiet ist das eine Route über Mainzer, Berliner, Schafhäuser Straße, Rennweg und Selztalradweg. Hier bieten auch die Radschutzstreifen erhebliche Vorteile. Trotz einzelner öffentlich hochgepuschter Unkenrufe.

Für uns ist der alltägliche Radverkehr in Alzey entscheidend. Dafür ist die Route über die Bahntrasse ebenfalls unbrauchbar. Wenn man im Industriegebiet angekommen ist, würde man am Ende der Strecke am nördlichen Rand des Industriegebietes etliche Meter über dem Niveau der Selz landen. Von dort aus ginge es zwangsläufig erst mal wieder in Selztal hinunter, um dann zunächst auf einem Feldweg den Hiwwel wieder hoch zu strampeln. In ein paar Jahren würde man vielleicht über die künftige Osttangente des Industriegebiets herumgelotst werden und hätte einen weiteren Umweg vor sich. Das ist alles nicht alltagstauglich.

Diese Routenführung wäre wieder mal ein Beispiel dafür, wie der Radverkehr von den Straßen auf nachteilige Nebenstrecken verdrängt wird. Nötig sind stattdessen Maßnahmen, um den Radverkehr in der Innenstadt gegenüber dem Autoverkehr tragfähige bessere Bedingungen zu schaffen.

Die tatsächlich wichtigen Radrouten und Fußwege von Alzey Stadt ins Industriegebiet verlaufen über drei Strecken: vor allem über den gut ausgebauten Selztalradweg sowie über die beiden unbefestigten Feldwege in Fortsetzung der Hagenstraße bzw. der Kurfürstenstraße. Über die Feldwege können stärkere Steigungen im Bereich der Kipp-Straße durch klug gewählte Zufahrtsrouten von der Stadt her vermieden werden. Beim Selztalradweg wäre eine Beleuchtung erforderlich. Die Feldwege sind unbefestigt und können bei schlechter Witterung nicht befahren oder begangen werden. Hier sollte ein umweltverträglicher Wegeausbau durchgeführt werden.

Der städtische Eigenanteil für das Projekt wird überschlägig auf knapp 2,7 Mio. EUR geschätzt; dabei dürfte es letztlich nicht bleiben. Für den gesamten Radrundweg der VG Alzey-Land von 21,6 km Länge werden etwa 4 Mio. EUR veranschlagt. Und die Stadt Alzey soll für 3,4 km auf ihrem Gebiet über die Hälfte der Gesamtkosten übernehmen! Das ist schon großzügig – aber niemandem zu vermitteln.

Selbst bei hohen Zuschüssen bleibt ein immenser städtischer Anteil. Allerhöchster Handlungsbedarf besteht bei der Verbesserung der lokalen Radinfrastruktur und anderer klimafreundlicher Mobilitätsprojekte. Hier haben wir noch jede Menge Hausaufgaben zu machen. Hier kann mit viel geringerem Aufwand wesentlich mehr erreicht werden.

Diese Trasse wäre ein teures Prestigeprojekt, das für die lokale Radinfrastruktur nutzlos wäre. Die Mittel, die dafür aufgewendet würden, wären für sinnvolle und wichtige Maßnahmen verloren. Das Projekt wäre gefährlich kontraproduktiv für den Artenschutz und die Entwicklung der Landschaft. Das kommt für uns nicht in Frage. Eine gezielte naturschutzfachliche Aufwertung einzelner Abschnitte der Trasse, möglichst mit bürgerschaftlichem Engagement, wäre dagegen sehr zu begrüßen.