Zum Artikel „Ein Stück Alzey unterm Hammer“, Allgemeine Zeitung Alzey vom 21.2.20
Die Reaktion der Stadtverwaltung auf das zum Verkauf stehende Bahngrundstück ist erschreckend. Denn die Entscheidung, eines der letzten Reste wilden Stadtgrüns nicht zu kaufen, dürfte der erste Schritt zu seiner Zerstörung sein. Offenbar ist man sich über die ökologische und auch soziale Bedeutung derartiger Ruderalflächen nicht im Klaren, oder sie ist einem schlicht egal. Die Tatsache, dass das Gelände Jahrzehnte lang im „Dornröschenschlaf“ lag, dürfte dazu geführt haben, dass es zum Rückzugsraum für viele Pflanzen und Tiere geworden ist.
Wie dramatisch das Verschwinden selbst gewöhnlichster Tierarten in den Alzeyer Gemarkungen ist, ist bereits im Landschaftsplan der Stadt von 1982 (!) nachzulesen. Die Luftaufnahme zeigt, wie groß der Baumbestand auf der mehr als drei Hektar großen Fläche ist. Mittlerweile sollte sich auch die Erkenntnis durchgesetzt haben, wie wichtig Bäume, gerade angesichts steigender Temperaturen, für Luftreinhaltung und Stadtklima sind. Als Kinder waren wir oft in den Bahnwäldchen unterwegs. Das waren wunderbare Abenteuerspielplätze, letzte Wildnis und letzte Freiräume und Fantasieräume, in denen wir uns ein bisschen wie Tom Sawyer und Huck Finn fühlen, in denen wir unseren Bewegungs- und Erkundungsdrang ausleben konnten und ganz nebenbei die Liebe zur Natur lernten. Solche Flächen haben daher auch eine soziale und naturpädagogische Funktion.
Mit dem Kauf könnte die Stadt das Biotop bewahren, sich eigene Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und es vor Verwertungsinteressen von Investoren schützen. Nach der Zerstörung des Steinbruchs Kalkofen, der geplanten Abholzung entlang der stillgelegten Bahntrasse in Richtung Schafhausen muss man nun aber mit dem nächsten Kahlschlag rechnen. Dass auch Mitglieder des Stadtrats erst aus der Presse von dem bevorstehenden Verkauf erfahren, zeigt einmal mehr, mit welcher Selbstverständlichkeit die Verwaltungsspitze die gewählten Vertreter der Bevölkerung bei solch wichtigen Entscheidungen übergeht.
Jochen Hinkelmann